In der heutigen Informationsgesellschaft ist die Wettbewerbsfähigkeit einer Volkswirtschaft zunehmend abhängig von der Ausbildung digitaler Fähigkeiten. Will man die Bevölkerung fit für die Digitalisierung machen, muss man bereits in der Schule ansetzen. Dazu zählt z.B. das Erlernen grundlegender Programmierkenntnisse sowie der selbstverständliche Umgang mit Hardware und Software. Doch Smartphones oder Tablets in den Schulen für den Unterricht zu verwenden, stößt noch immer auf Vorbehalte. Auch wenn das neue Regierungsprogramm die Verteilung von Tablets und Laptops an vielen Schulen vorsieht.

Seit 2014 versucht Professor Paul Kral mit dem von T-Mobile Austria initiierten Projekt Connected Kids, den Eltern und Lehrern die Scheu vor den digitalen Tools zu nehmen. Wie gut das bereits gelungen ist, welche Vorurteile es noch immer zu bekämpfen gibt, und wie ein Projekt mit Connected-Kids konkret abläuft, erläutert Kral im Interview.

Frage: Warum sollten Schulen digitale Kompetenzen lehren?

Paul Kral: Schulen müssen ihre Schüler fit für den Alltag und Beruf machen. Digitale Tools sind ein fester Bestandteil davon – ich kann sie nicht ausblenden. Wir erleben gerade einen Leitmedienwechsel. Die Menschheit entwickelte sich von der Sprach- über die Schreib- und Buchkultur und weiter bis hin zur Informationsgesellschaft. Die digitalen Tools lösen die Buchkultur heute zwar nicht ab, sie ergänzen sie aber. Wenn Schulen diesen Wandel nicht zur Kenntnis nehmen, dann erfüllen sie den Bildungsauftrag nicht mehr.

Zu glauben, dass die digitalen Geräte unsere Kinder gescheiter machen, ist aber auch falsch. Die Schüler lernen anders. Jeder Einzelne von uns ist verschieden: Der eine ist ein visueller Typ, der andere ein haptischer. So manch ein schüchterner Schüler kommt mithilfe der digitalen Tools aus seinem Schneckenhaus heraus – die sprachliche Begabung kann ihm aber dennoch fehlen. Entscheidend ist immer die Lehrperson. Sie muss ihre Kinder genau kennen und auf ihre Individualität eingehen. Nur dann kann sie erfolgreich sein. Tut sie das nicht, dann wird es schwer. Das war auch vor der Digitalisierung schon so.

Generell soll Bildung junge Menschen befähigen, aus dem vorhandenen Wissen durch neue Verknüpfungen neues Wissen zu generieren. Digitales Lernen ist dabei mehr als nur Null und Eins. Die Digitalisierung betrifft heute so ziemlich alles, und ich kann auch unendlich vieles mit den Tools machen. Die Schüler sollen lernen, sich aus diesem Angebot genau jene Werkzeuge herauszusuchen, die ihnen bei ihren Projekten helfen.

Frage: Was ist unter digitaler Kompetenz eigentlich zu verstehen?

Paul Kral: Darunter sind drei Bereiche zu verstehen: Medienkompetenz, Informatikkompetenz und Anwendungskompetenz. Viele setzen das bloße Einschalten eines Gerätes oder das Aufrufen einer App schon mit Know-how gleich. Das ist es natürlich nicht. Sie können zum Beispiel mit einem Tablet ein Foto machen – das ist überhaupt keine Kunst. Sie können aber mit Apps das Foto schneiden, verbessern, dessen Farbe verändern oder mit zusätzlichen Elementen, wie Beschriftungen anreichern. Sie können also ein Bild so gestalten, dass es genau das aussagt, was Sie sich beim Aufnehmen gedacht haben. Und genau hier beginnt dann die digitale Kompetenz. Es gibt ja Unmengen von digitalen Werkzeugen und Möglichkeiten. Die Kunst besteht darin, genau das herauszufinden, was bei einem konkreten Projekt hilft.

Frage: In einem Interview im November 2015 sagten Sie , dass es etliche Schulen gibt, deren Schüler faktisch nie mit digitalen Geräten oder dem Web gearbeitet haben. Was hat sich in Sachen Digitalisierung an den Schulen seitdem getan?

Paul Kral: Immer mehr Pädagogen erkennen, dass digitale Kompetenzen eine wichtige Rolle spielen, und nicht bloß ein Nice-to-have sind. Smartphones, Tablets und Laptops gehören zum Alltag der Schüler. Damit spielen sie nicht nur, sondern sie gehen relativ kompetent damit um.

Manche Pädagogen erkennen auch, dass sie mit Tablets ihren Unterricht effizienter gestalten können. Ein Lehrer hat mir nach unserem Projekt geschrieben, dass er sich sehr freut, nun mit Tablets arbeiten zu können, weil er dadurch seinen Schülern eine neue Motivationsschiene eröffnen konnte.

Die Zielorientiertheit im Unterricht bleibt mit dem Tablet aufrecht, und wird sogar noch erhöht. Lehrer haben sich schon immer ein Ziel für jede Unterrichtssequenz gesetzt. Bei der Vorbereitung darauf muss sich der Pädagoge überlegen, was er dazu braucht: Tafel, Bücher, Whiteboard. Mit dem Tablet steht ihm nun ein weiteres Werkzeug zur Verfügung.

Wenn ein Lehrer das Tablet einbaut, dann muss er im Unterricht anders agieren. Daraus ergeben sich Vorteile. Ein Beispiel dafür: Nehmen Sie eine typische Übungssequenz: Ein Pädagoge fragt einen Schüler, wieviel 7 mal 4 ergibt. Wenn er es nicht weiß, so ist  ihm das vor seinen Mitschülern unangenehm. Mithilfe einer App, die allen Schülern diese Aufgabe stellt, entfällt die Beschämungskultur. Denn die App animiert den Schüler, bei einer fehlerhaften Antwort es einfach noch einmal zu versuchen. Die Schüler empfinden eine Übungssequenz dadurch viel individueller und weniger unangenehm. Wiederholungen werden angenommen, und das ist kein unwichtiger Faktor für das Festigen des Gelernten.

Frage: Wie kann man sich ein Projekt, das Connected Kids begleitet, konkret vorstellen?

Paul Kral: Dazu eignet sich ein Projekt, das Schüler der neuen Mittelschule Hainburgerstraße umgesetzt haben, und das auch bei der Vienna Biennale 2015 „Ideas for Change“ teilgenommen hat. Das Thema war „Smart City“. Die Schüler  drehten ein Video, das ihren Schulweg nachzeichnet. Nur die Füße der Darsteller sind zu sehen. Sie gehen einem Kreidestrich nach, der sie von der Schule zu ihren Wohnungen führt. Dabei kommen alle wichtigen Übergänge, Zebrastreifen, gefährlichen Stellen und andere neuralgische Punkte vor. Am Schluss ruhen sich die Schuhe auf einem Kissen und unter einer Tuchent aus, weil sie müde sind. Das Video war, so wie ein weiteres einer anderen Schule übrigens auch, Teil der Ausstellung im MAK.

Was hat dieses Projekt nun gebraucht? Die NMS Hainburgerstraße besuchen überdurchschnittlich viele Schüler mit Migrationshintergrund. Das Team, das das Video gedreht, produziert und publiziert hat, wollte auch nach der Fertigstellung miteinander zusammenarbeiten. Die Schüler haben Teamarbeit am eigenen Leibe erlebt. Einer war für das Drehbuch zuständig, einer für den Schnitt, ein anderer wiederum hat die Kamera-Aufnahmen gemacht. So haben alle gelernt, arbeitsteilig zu agieren. Das ist etwas, was Schüler sonst eher nicht tun. Sie erarbeiten sich vieles zumeist alleine. Das Video hat auch dazu geführt, dass die Aggressionen an der Schule spürbar nachgelassen haben. Das Projekt war gemeinschaftsbildend und gewaltmindernd. Die Lehrinhalte bekamen die Teilnehmer nicht vorgesetzt – sie haben sich alles selbst erarbeitet, haben dennoch das Lehrziel erreicht.

Beim internationalen Preis „Safer Internet – Medien, aber sicher“, den die Deutsche Telekom gemeinsam mit T-Mobile Austria veranstaltete, waren zwei sehr interessante Projekte der Berufsschule für Bürokaufleute erfolgreich. Bei beiden kamen die Themen von den Schülern direkt: Cybermobbing und Spielsucht.

Frage: Wie funktioniert Connected Kids, und wie viele Projekte mit Tablets in den Schulen hat die Initiative bereits umgesetzt?

Paul Kral: Wir sind jetzt im vierten Jahr. Uns stehen drei Projektkoffer zur Verfügung, die alles beinhalten, was für einen mit Tablets unterstützten Unterricht notwendig ist: 16 Tablets, WLAN, Ladeinfrastruktur usw. Es ist alles vorhanden. Und kostenlos. Der einzige Verwaltungsaufwand, den die Pädagogen haben, ist das Aufladen der Geräte. Wir begleiten die Schule vier bis fünf Wochen lang. Drei Teams können so 27 Schulen im Jahr betreuen. Ab heuer steht uns ein vierter Projektkoffer zur Verfügung, und damit schaffen wir 36 Schulen im Jahr. Mittlerweile sind wir nicht nur in Wien, sondern auch in Niederösterreich und dem Burgenland aktiv.

Connected Kids besteht aus einem virtuellen Team, das elf Personen umfasst. Vier Personen veranstalten die Workshops, vier weitere befüllen den Blog mit Inhalten, und zwei bis drei weitere sind als Referenten aktiv.

Connected Kids versteht sich als Pionier, als Türöffner für die Digitalisierung. Die Initiative setzt dort an, wo noch nichts passiert ist. Wir vermitteln Anwenderkompetenz und wir tragen zur Medienbildung bei. Etwa wie man mit Urheberrechten umgeht oder mit Bildern von Personen. Wir machen auch auf die Nachteile des Internets aufmerksam und kämpfen gegen Killer-Argumente, dass das Internet verblödet. Es geht um den pädagogisch wertvollen Einsatz in der Schule, aber vor allem um den vernünftigen Umgang mit Devices in der Alltagswelt der Schüler zu Hause, bei Freunden und in der Öffentlichkeit.

Unsere Rolle ist vom Ministerium anerkannt worden. Wir sind Partner von e-Education Austria, einer Initiative des Ministeriums für Bildung. Das Ministerium rollt österreichweit Tablets aus. Zu unserer Freude folgt es damit unserem Konzept: Pädagogen mit Tablets in Berührung bringen, niederschwellig einsteigen, eine vorbereitete App- und Websiteumgebung offerieren, geringe Wartung notwendig machen, Good Practice zeigen, die Pädagogen an der Schule einzuführen und sie  betreuen. Wir zeigen damit Möglichkeiten auf, wie Unterricht verändert werden kann, nehmen ihnen  die Angst vor Kontrollverlust und ermutigen sie, diesmal auch von Schülern zu lernen. Die sind nämlich manchmal wirklich fitter. Nach vier Wochen wollen die Lehrer die Tablets nicht mehr gerne hergeben.

Frage: Mit welchen Vorurteilen und Hindernissen hat Connected Kids zu kämpfen? Welche Argumente werden gegen Tablets in den Schulen ins Treffen geführt?

Paul Kral: Verhinderer und Neinsager gibt es überall. Das ist bei Pädagogen nicht anders. Die Argumente, die wir oft hören, sind folgende:

1) Für Volksschüler ist der Umgang mit Tablets noch zu früh: Dem Argument begegne ich oft mit einem Beispiel. Wenn Volksschüler das Alphabet lernen, dann besteht die Möglichkeit , dies anhand von Stationen zu machen. Da malen die Kinder an einer dieser Stationen ein A auf Papier, legen es mit Plastilin nach oder zeichnen es mit dem Finger auf das Display eines Tablets. So lernen sie schreiben, und das Tablet ist eine von mehreren Stationen und so ganz natürlich in den Lernprozess integriert. Wir haben damit schon beste Erfahrungen gemacht.

2) Tablets sind didaktisch nicht sinnvoll, weil der Stoff damit nicht gefestigt wird und die Schüler abgelenkt werden:

Mit Tablets arbeiten die Schüler oft viel fokussierter als ohne. Und: Ich kann in einer Unterrichtsstunde den Schülern nur genau die App freigeben, die gerade gebraucht wird. Also ist auch keine Ablenkung oder eine Abschweifung auf die Fanseite des Fußballclubs möglich.

3) Es geht aus finanziellen Gründen nicht:

Es stimmt, es gibt viele, ja zu viele Kinder, die sich weder Smartphone noch Tablet leisten können. Connected Kids verfolgt das Ziel, dass jeder Schüler sein eigenes Tablet hat – so wie er seine eigenen Hefte und Bücher auch hat. Wir plädieren dafür, die eigenen Devices in der Schule einzusetzen – Schüler können dann zu Hause auch weiterarbeiten. Dass die Bundesregierung nun alle Schulen mit Tablets ausstatten will, ist eine einzigartige positive Entscheidung – so teuer sind Tablets dann auch wieder nicht, schließlich können die Schüler vier Jahre damit problemlos arbeiten. Dennoch müssen wir sicherstellen, dass alle Schüler mit Tablets – auch wenn das Elternhaus sich das nicht leisten kann – arbeiten können. Der Weg ist noch weit und die Diskussionen werden heftig sein.

4) Digital, ja bitte, aber wenn, dann nur im EDV-Raum:

Viele Schulen haben Computerräume, die Infrastruktur wäre also vorhanden. Allerdings nutzt die kaum ein Lehrer. Denn bis alle Computer startklar sind, ist die Stunde schon fast wieder vorbei. Mithilfe von Computerräumen lassen sich digitale Tools auch nicht so natürlich in den Unterricht einbauen, wie ich das etwa beim Stationenlernen in der Volksschule beschrieben habe.

5) Es geht nicht, weil die Lehrer nicht ausgebildet wurden:

Es ist zu wenig, wenn ich den Schulen nur die Geräte zur Verfügung stelle. Denn ohne Schulung vermodern die neuen Geräte nach 14 Tagen im Schrank. Aber es reicht auch nicht, den Pädagogen digitale Kompetenzen nur an den Universitäten und Hochschulen zu vermitteln. Die Aus- und Weiterbildung muss an ihrem Arbeitsplatz – an der eigenen Schule – erfolgen. Dort haben die Pädagogen ihre Geräte, und wissen über die Infrastruktur Bescheid. Die Materie erfordert es, dass eine Weiterbildung permanent erfolgt, denn digitale Themen sind bekanntlich einem starken Wandel unterworfen.

Frage: Wie kommt eine Schule zu einem gemeinsamen Projekt mit Connected Kids?

Paul Kral: Mittlerweile sind wir schon so bekannt, dass Vertreter von Schulen auf uns zukommen. Wir geben Interessierten dann eine Erstinformation und suchen gemeinsam einen passenden Termin. Am Anfang steht immer ein Workshop mit den Lehrern. Wir arbeiten ja nur mit Pädagogen, und greifen in den Unterricht selbst nicht ein, geben den Lehrern das Rüstzeug dafür, einen mit Tablets unterstützen Unterricht zu gestalten. Wir begleiten eine Schule vier bis fünf Wochen lang. Danach versorgen wir die Pädagogen noch mit einem Newsletter, der digitale Bausteine empfiehlt, die sich sofort im Unterricht einsetzen lassen.

Wir stellen etwa 130 Apps vor, aus denen sich dann jeder einzelne Pädagoge die für seinen Unterricht passenden aussuchen kann. Das sind Apps, mit denen sich Übungen für alle Unterrichtsfächer gestalten lassen, Apps, die Wissen etwa über den menschlichen Körper oder das Sonnensystem vermitteln. Teilweise sind auch Websites unter diesen Empfehlungen. Wenn Lehrer diese Ressourcen nutzen, dann müssen sie eigentlich kein einziges Arbeitsblatt mehr selbst gestalten. Durch unsere Vernetzung kann ich fast behaupten: „Es ist alles schon vorhanden. Bitte suchen und in den Unterrichtsprozess einbauen.“

Ich selbst habe gerade zwei Wikis aufgebaut, die Schulen ebenfalls unterstützten. Beim ersten handelt es sich um ein Deutsch-Lern-Wiki. Es umfasst etwa 70 Prozent jener Inhalte, die es in Österreich zu diesem Thema gibt. Sogar ein gesamter Deutschkurs ist dort hinterlegt.

Beim zweiten Wiki handelt es sich um eine Sammlung von Apps und Links, die ich selbst spannend finde. Sie stammen alle aus Facebook, Twitter und  Newslettern, und können Pädagogen bei der Gestaltung ihres Unterrichts helfen. Die Inhalte sind nach verschiedenen Gesichtspunkten gegliedert – etwa Unterrichtsgegenständen, Videomaterial, usw.

Danke für das Gespräch.

ad personam Prof. Dr. Paul Kral

Prof. Dr. Paul Kral ist Pädagoge und war von 1992 bis 2007 Direktor des Pädagogischen Instituts der Stadt Wien. Der Wissensmanager ist Partner bei den Knowledge Management Associates, Geschäftsführer von Know.Learn&Lead und seit vielen Jahren Vortragender im Master-Lehrgang „Educational Leadership – Schulmanagement, MA“ an der Donauuniversität Krems und Lektor an der FH-Burgenland für Angewandtes Wissensmanagement. Kral betreut zudem das gemeinsam mit T-Mobile Austria ins Leben gerufene Projekt Connected Kids, mit dem die digitalen Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern mit Tablets in den Schulen verstärkt werden sollen.